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Clinical Trials Information System - CTIS

Implementierung des CTIS: Zwischen Harmonisierung und praktischen Herausforderungen

Die Einführung des Clinical Trials Information Systems (CTIS) im Januar 2022 markierte einen Meilenstein für die europäische klinische Forschung. Ziel der EU-Verordnung 536/2014 war es, fragmentierte nationale Prozesse durch eine zentrale Plattform zu ersetzen, die Transparenz erhöht und multinationale Studien vereinfacht. Doch nach über drei Jahren Praxiserfahrung zeigt sich ein ambivalentes Bild: Während das System konzeptionelle Stärken besitzt, behindern technische Mängel, verlängerte Genehmigungsverfahren und organisatorische Hürden die Umsetzung.

Übersicht der Änderungen

Vor CTIS

CTIS (Verordnung EU 536/2014)

Rechtsrahmen

Nationales Recht der Mitgliedstaaten gültig, bspw. GCP-Verordnung

Unmittelbar gültige EU-Verordnung

Einreichung und Amendments

Nationale Einreichung (über Portale oder papierbasiert), separat für jeden Mitgliedstaat

Zentrale Einreichung über CTIS für alle beteiligten Mitgliedstaaten

Genehmigungs-fristen

Eigene Fristen nach Land, in Deutschland bspw. 30 Tage bei der Behörde

Gesamtdauer bei theoretisch max. 60 Tagen

Transparenz

Teilweise nicht öffentliche Studieninformationen

Automatische Veröffentlichung relevanter Informationen (geschwärzte und ungeschwärzte Version erforderlich)

Kommunikation

Persönlicher Kontakt mit den zuständigen Behörden und Ethikkommissionen

Kommunikation ausschließlich digital über CTIS, keine direkten Kontakte möglich

Zuständigkeiten

Feste Ethikkommission nach Sitz des LKP

Zuweisung der zuständigen Ethikkommission erfolgt zufällig

Administrative Hürden

Niederschwelliger Einreichungsprozess

Intensive Einarbeitung in CTIS mit tw. komplexer Rollenzuweisung

System-abhängigkeit

Alternative Einreichungswege möglich, z. B. per Post oder per E-Mail

Einreichung ausschließlich über CTIS, technische Stabilität ist notwendig

Nachverfolgung

Uneinheitliche Nachverfolgung, teilweise papierbasiert

Durch Bündelung in CTIS eine einheitliche digitale Nachverfolgung

Theoretische Vorteile vs. technische Realität

CTIS sollte durch Harmonisierung der Einreichungs- und Bewertungsprozesse Doppelarbeit reduzieren und die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten stärken. Für multinationale Studien ist dies ein Fortschritt – statt länderspezifischer Anträge genügt ein einheitlicher Satz. Die Integration von Etiketten in die Dokumentation und transparente Genehmigungsauflagen verbessern zudem die Nachvollziehbarkeit.

Doch die technische Umsetzung bleibt problembehaftet:

  • Systemstabilität: Serverüberlastungen und Fehler in der Benutzerverwaltung (z. B. abgeschnittene Organisationsnamen) verzögern Antragstellungen.
  • Dokumentenmanagement: Die öffentliche Website veröffentlicht teils veraltete Protokollversionen, was Patienten und Forscher irreführt.
  • Workarounds: Für nicht-substantielle Änderungen müssen Sponsoren substanzielle Modifikationen nutzen, obwohl dies nicht vorgesehen ist.
  • Die EMA arbeitet zwar an Updates, doch grundlegende Mängel – wie die mangelnde Unterstützung für Plattformstudien – behindern innovative Forschungsansätze.
  • Auch aus Behördensicht sind die Bearbeitungsmöglichkeiten eingeschränkt: Stellt bspw. das BfArM versehentlich ein falsches Dokument als Genehmigung ein, so konnte dieses in der Praxis nicht ausgetauscht werden.

Genehmigungsfristen: Theorie vs. Praxis

Die CTR sieht eine maximale Bearbeitungszeit von 45–60 Tagen vor. In der Praxis dauern Genehmigungsverfahren jedoch mitunter auch über 100 Tage, wenn Nachfragen (RFIs) gestellt werden. Besonders ärgerlich in diesem Kontext ist, dass die Zeiträume selbst für einfach zu bearbeitende Sachverhalte oft bis zuletzt ausgereizt werden.

 

Für mono-nationale Studien haben Länder wie Österreich beschleunigte Verfahren (35 Tage) eingeführt, um Standortvorteile zu wahren. Dennoch kritisiert die Industrie die Verdopplung der Vorlaufzeiten gegenüber früheren nationalen Prozessen:

  • Validierungsphase: RFIs verlängern die Frist um 15 Tage.
  • Assessment-Phase: Jede Nachfrage fügt 31 Tage hinzu, selbst bei parallelen RFIs. Hierbei ist zu rügen, dass eine verkürzte Bearbeitungszeit durch den Antragsteller keine Verkürzung der Frist bewirkt.
  • Lückenlose Reaktionsfähigkeit: Verpasste Fristen führen zum technischen Verfall des Antrags, auf den nicht mit Entgegenkommen der Behörde reagiert werden kann.

Diese Verzögerungen erhöhen die Planungsunsicherheit und binden zusätzliche Ressourcen, was insbesondere für IITs und Studien mit begrenzten Budgets problematisch ist.

Organisatorische Anpassungen: Von der Theorie zur Bürokratie

Die CTIS-Einführung erfordert tiefgreifende Prozessänderungen:

  • Personalressourcen: Die Bearbeitung von Anträgen ist 4–6 mal aufwändiger als im alten System. Ethikkommissionen und Behörden mussten ihre Teams vergrößern, um RFIs innerhalb von 8–12 Tagen zu bearbeiten.
  • Schulungsbedarf: Die komplexe Rollenzuweisung und technische Systemlogik erfordern kontinuierliche Schulungen.
  • Vertretungsregelungen: Urlaubs- oder Krankheitszeiten gefährden die Einhaltung starrer Fristen, da Spezialwissen nicht einfach übertragbar ist.
  • Das Ansprechen von festen Ansprechpartnern ist nicht mehr möglich. Technische Hürden müssen über ein Ticketsystem bearbeitet werden, das ineffizient mit teils mehreren Tagen Bearbeitungsfristen arbeitet.
  • Nachreichungen sind nicht mehr problemlos möglich. Im bisherigen System war es problemlos möglich, administrative Dinge wie z.B. Unterschriften nachzureichen, was die operativen Abläufe erleichterte und beschleunigte. Dieser Weg ist gänzlich weggefallen und erfordert nun ein starres Abwarten zur Erfüllung selbst kleiner Formalien.

Große Pharmakonzerne können diese Herausforderungen durch CROs (Contract Research Organizations) abfedern, während kleinere Forschungseinrichtungen an Kapazitätsgrenzen stoßen.

Auswirkungen auf die europäische Forschungslandschaft

Die CTIS-Probleme gefährden Europas Attraktivität als Forschungsstandort:

  • Abwanderungstendenzen: Unternehmen erwägen Studienverlagerungen nach Australien oder Singapur, um längeren Genehmigungszeiten zu entgehen.
  • Akademische Forschung: Investigator-initiated Trials (IITs) zu seltenen Erkrankungen werden aufgrund höherer Kosten und Komplexität seltener durchgeführt.
  • Transparenz vs. Datenschutz: Die automatische Veröffentlichung von Studienunterlagen erfordert aufwändige Schwärzungsprozesse, um Geschäftsgeheimnisse und personenbezogene Daten zu schützen.

Trotz dieser Herausforderungen zeigen sich Erfolge: Seit 2022 wurden 3.657 Anträge über CTIS eingereicht, davon 70 % für multinationale Studien. Die durchschnittliche Beteiligung von sechs Mitgliedstaaten pro Studie unterstreicht das Potenzial für länderübergreifende Kooperationen.

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